Zwei Geschichten der Entstehung des Internets

(Letztes Update von Niklas Baumgärtler am 26.5.2021)

Heute möchte ich euch, liebe Leser, an zwei Versionen der selben Geschichte teilhaben lassen: der Geschichte der Entstehung und Entwicklung des Internets. In der ersten Version findet ihr meinen persönlichen Zugang zum Internet, aus dem vielleicht abzulesen ist, warum ich so ein großes Potential darin sehe, während der zweite Teil eher die möglichen Konsequenzen des politischen Zusammenlebens behandelt. Viel Freude damit!

Eine persönliche Geschichte des Internets

Als mein Vater vor 16 Jahren einen Computer um 24500 Schilling nach Hause brachte, war mit diesem aus heutiger Sicht nicht allzu viel anzufangen. Er hatte um die 8 Megabyte Arbeitsspeicher, und wenn ich SkiOrDie, mein geliebtes erstes Computerspiel spielen wollte, musste ich es über die DOS-Kommandozeile aufrufen. Später wollte ich dann selbst Computerspiele programmieren und lernte über die Schule, die ich besuchte, einige Grundwerkzeuge der Programmierung. Ungefähr zu jener Zeit begann ich das Internet als Haupt-Informationsmedium zu nutzen. Wir lernten, kleine Minimalprogramme zu programmieren, und meine Lehrer schienen auch kaum mehr zusammenzubringen. Doch im Internet fand ich Antworten auf viele meiner Fragen.

Ich erstellte (schrecklich hässliche) Websites und Levels für meine damaligen Lieblings-Computerspiele, wurde Teil diverser Foren-Communities und wuchs so in die Vorläufer des heute Web 2.0 genannten interaktiven Internets hinein. Das Internet wandelte sich vom Informations-Medium, dass Antworten auf Fragen geben konnte, wie es ein gutes Buch auch tat, zu einem Medium, in dem ich selbst Antworten auf die Fragen anderer geben konnte. In dem ich etwas schaffen konnte, das andere tatsächlich nutzten.

Ich schrieb zahlreiche Geschichten für eine größer angelegte Hobby-Spieleentwicklung. Ich veröffentlichte eigenen Levels für Warcraft 3, ein Computerspiel, und da gab es tatsächlich andere Menschen, die mir Feedback dazu gaben und auf eine neue Version hofften. Und diese Menschen aus allen Teilen der Welt, die ich nie getroffen hatte und vielleicht auch nie treffen würde, interessierten sich für das, was ich tat, unabhängig von meinem Aussehen, meiner Nationalität, meinem Alter, meiner Schulbildung oder meinem Bankkonto.

Aus dem Internet zog ich wesentliche Grundsteine meiner fachlichen und humanitären Bildung, die dem in der Schule gelernten oft widersprachen, und ich hatte gelernt, schulische Bildung nicht grundsätzlich höher zu bewerten als die Informationen und Geschichten, die ich im Internet fand. Ich hatte, und zwar ohne Fremdsteuerung sondern aus der Praxis, gelernt, kritisch zu denken. Und ich würde nicht der einzige sein. Erst viel später erkannte ich, wie ungeheuerlich dies eigentlich aus Sicht der bestehenden Weltordnung erscheinen musste.

Eine politische Geschichte des Internets

Jahrtausende lang hatte es in irgendeiner Form eine zentralistische Machtstruktur gegeben. Es waren Stammesführer, Kaiser, Könige, Tribunale, Gottes-Interpreter und gewählte Vertreter, aber wer auch immer sie waren, es waren einige wenige, die über viele herrschten. Es wirkte fast wie ein Naturgesetz, dass immer einige wenige Zugriff auf die wenigen Mittel hatten, viele zu erreichen. Ein Verlag konnte entscheiden, welche Bücher gedruckt wurde und damit großes Publikum erreichte. Ein (oft staatliches) Radio oder Fernsehen sorgte dafür, dass gewisse Interessen gewahrt wurden. Neben der politischen war auch ökonomische Macht ein Einflussfaktor: diverse Privatsender machten etwa staatlichem Fernsehen Konkurrenz. Aber immer waren diese Werkzeuge in den Händen einiger weniger. Das Internet zerstörte nach und nach jede Illusion, dass dies so bleiben würde.

Den Anfang machte der Computer und die Möglichkeit, eine Datei ohne Verlust an der Ausgangsdatei zu kopieren. Ein Text, ein Bild, ein Video konnte geschrieben, auf Diskette (später CD, DVD, USB, …) gespeichert und auf einem anderen Computer betrachtet werden. Aber die Überbringung dieser Datenträger war noch relativ leicht zu kontrollieren. Mit dem Internet konnten Daten in Sekundenbruchteilen vervielfältigt werden, und es war relativ irrelevant, ob jetzt ein oder eine Million Benutzer eine Webseite betrachtet. Die Information „vervielfältigt“ sich damit auf einer Million Computern und kann damit von einer Million Benutzern gelesen werden.

Aber selbst als immer mehr Menschen lernten, selbst Webseiten zu erstellen oder auf sonstigem Wege Informationen im Internet veröffentlichten, gab es noch ein großes Problem: diese Informationen zu finden, wenn man ihre Adresse nicht kannte. Ein kritischer Text würde wenig Aufmerksamkeit auf sich ziehen und in der Masse an anderen Seiten untergehen. Er war wie ein Buch, dass die Welt verändern könnte, das aber in Bücherregalen verstaubte. Das Internet war aufgrund seiner riesigen Masse an Informationen ungefährlich, weil es zu ungeordnet, zu chaotisch war.

Und dann begann die nächste große Welle der Evolution des Internets: die der sozialen Netzwerke. Soziale Netzwerke machten es plötzlich möglich, dass ein jeder über seine persönlichen oder virtuellen Kontakte eine Art „Mundpropaganda“ über interessante Informationen tätigen konnte. Innerhalb von Stunden konnten so interessante Informationen um die Welt gehen. Das Internet wurde damit aus einem übervollen Buchregal zu einem, das zwar immer noch übervoll war, bei dem aber praktischerweise einige nette Menschen Tipps zu besonders interessanten Büchern gaben. Nette Menschen, die man möglicherweise gar nicht persönlich kannte, die aber gemeinsam eine ziemlich große Reichweite ergaben.

Die Möglichkeiten des Internets als sozial vernetztes Kommunikationsmedium stellen viele der althergebrachten Traditionen in Frage. Unser politisches System der repräsentativen Demokratie basiert unter anderem auf dem Schluss, dass es unmöglich ist, bei der Mitbestimmung aller auf zentralisiert umsetzbare Entscheidungen zu kommen. Aber möglicherweise ist dies gar nicht immer nötig. Schon heute gibt es zahlreiche Initiativen, die Probleme über das Internet aufzeigen und dagegen protestieren. Der Knackpunkt ist jedoch, nicht an diesem Punkt stehen zu bleiben, sondern den einen Schritt weiter zu gehen und selbst Verantwortung für die Lösung der Probleme zu übernehmen. Sich etwa mit anderen Bürgern zu vernetzen und gemeinsame Lösungen gemeinsam umsetzen. Die möglichen Folgen des dadurch ausgelösten politischen Erdbebens sind derzeit noch kaum absehbar.

Vor die Verantwortung gestellt

Eine Freundin von mir meinte unlängst, dass es illusionär sei, das Internet als rettendes Medium zur Lösung vieler Weltprobleme zu betrachten. Zum einen hätten außerhalb der Industrienationen kaum Menschen einen Internetzugang bzw. kaum jemand die finanziellen und technischen Voraussetzungen, diesen zu nutzen. Zudem würde beispielsweise in China sehr stark zensiert werden. Doch gerade die Zensur und die Angst gewisser Regierungen vor dem Internet zeugt von seinem Potential, tiefgreifende Veränderungen zu ermöglichen. In Brasilien gingen letzten Juni trotz Verbot von Facebook durch die Regierung („Jugendschutz“) an einem Tag 1.000.000 Menschen auf die Straßen, Menschen, die mir erzählt hatten, dass sie sich dies vorher aus Angst vor Verhaftungen nicht getraut hatten.

Veränderung bedeutet jedoch nicht automatisch Verbesserung. Wie jedes Werkzeug kann auch das Internet zu destruktiven Zwecken eingesetzt werden und das Leben anderer Menschen negativ beeinträchtigen. Doch wie kaum in der Geschichte der Menschheit ist es ein Werkzeug, das einer große Masse an Menschen zur Verfügung steht, die die Richtung mitbeeinflussen können, wie es sich in Zukunft entwickeln wird. Es wird, wie immer, einige schwarze Schafe geben. Man kann dagegen protestieren, und ich halte es für wichtig, Farbe zu bekennen und zu seiner Meinung zu stehen. Doch wie kaum eine Generation vor uns haben wir die Macht, mehr zu tun.

Unsere Generation stellt immer wieder die anklagende Frage an die letzten Generationen, wie sie es zulassen konnten, dass Millionen Menschen für so viele sinnlose Kriege sterben mussten. Die Antwort lautet wohl oft, dass kaum jemand aus der Masse des „kleinen Mannes“ die Möglichkeit gehabt hätte, etwas daran zu ändern. Unsere Kinder und Kindeskinder werden uns einst vielleicht ähnliche Frage stellen. Können wir uns dann, in Zeiten des Internets und seines Potentials, ebenso einfach auf unsere fehlenden Möglichkeiten herausreden?

Niklas

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Niklas Baumgärtler

Niklas Baumgärtler interessiert sich für die Kunst der Begeisterung und macht gerne Wechsel- und Hebelwirkungen in Sozialen Systemen sicht- und erlebbar. Mehr über Niklas Baumgärtler...

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