Wasser: die weiche Macht

(Letztes Update von Niklas Baumgärtler am 26.5.2021)

Manchmal (viel zu selten) erinnere ich mich an eine Metapher, die sich mir zu verschiedenen Zeiten in meinem Leben aufdrängt: Ich bin wie Wasser, wie ein Fluss, und mein Wille nichts als die Strömungsrichtung. Das mag auf den ersten Blick relativ absurd klingen, beschreibt jedoch einige meiner Erfahrungen auf sehr schöne Weise.

Wahre Macht ist eine weiche Macht

Was passiert, wenn ein Wassertropfen mit großer Geschwindigkeit gegen eine harte Fläche prallt? Er zerspringt in viele kleine Tröpfchen. Wenn wir im Leben etwas erreichen wollen, nehmen wir unsere Ziele oft mit großer Zielstrebigkeit in Angriff, setzen unsere ganze Kraft ein, sie zu erreichen und eine Bresche in unsere Hindernisse zu schlagen. Weil wir oft sehr exakte Vorstellungen von unseren Zielen haben, überfordern wir uns selbst und verpuffen zu Tröpfchen, bevor wir etwas erreichen können. Anstatt in ungefährer Richtung unserer Ziele zu fließen, auch bereit, gewisse Umwege in Kauf zu nehmen, wollen wir den direkten Weg.

Oft werden dann Menschen, die uns mit ihrer eigenen Energie helfen hätten können zu weiteren „harten“ Hindernissen, weil wir sie als solche wahrgenommen haben. Manchmal mag es weiser sein, sanft in Richtung seiner Ziele zu fließen und durch sanfte Berührung herauszufinden, wie mächtig die Hindernisse in unserem Weg sind, anstatt sogleich gegen sie anzurennen. Manchmal finden wir so sogar heraus, dass sich manche der vermeintlichen „Hindernisse“ sogar bereit erklären, uns aktiv zu unterstützen.

Um die Schule, an der ich jetzt arbeite, zu finden, habe ich Blindbewerbungen an knapp 150 Schulen ausgeschickt. Viele antworteten gar nicht, eine beschwerte sich über „fehlenden Respekt“ und über meinen alternativen Lebenslauf. Über 30 Schulen jedoch antworteten sehr freundlich, und knapp 10 davon schrieben mir, ich solle doch vorbeikommen. Die große Schulbesuchs-Reise, die daraufhin folgte, führte mich zu der Schule, an der ich jetzt arbeite, weil ich hier das Gefühl hatte, am meisten Offenheit für meine eigenen weichen Ziele vorzufinden.

„Weiche“ Ziele zu haben hat jedoch auch noch einen anderen Vorteil gegenüber „harten“ Zielen: die Sicht ist nicht so eingeschränkt. Wer krampfhaft konkrete Ziele verfolgt, beurteilt alle Möglichkeiten, sie zu erreichen nach einem tendenziell binären System (hilft mir/hilft mir nicht) und betrachtet sie als Mittel zum Zweck. Wer seine Ziele auf eine sanfte Art verfolgt, findet oftmals heraus, dass seine „Umwege“ ihn bereichert haben. In diesem konkreten Fall lernte ich viele andere Schulen und die dort vorherrschenden Methoden und Perspektiven kennen.

Der einfachste Weg ist nicht immer der beste Weg

Ein „weiches“ Folgen des eigenen Willens darf nicht missverstanden werden als die Angewohnheit, immer dem einfachsten Weg zu folgen, sobald Hindernisse fester erscheinen. Wasser dreht auch nicht plötzlich um und fließt flussaufwärts, nur weil ein Stein im Weg liegt. Wenn wir in eine vermeintliche Sackgasse geraten sind, in der es einen Weg geben könnte, für den unsere Macht jedoch nicht zu reichen scheint, fallen wir gerne in die Falle, unseren Willen zu ändern. Wie die Katze, der die Maus entwischt ist und die dann stolz meint, sie hätte sie ohnehin nicht erwischen wollen, erklären wir dann unsere Ziele für nichtig, für zu groß.

Als ich erklärte, auch ins Ausland bereit zu sein, wenn ich dort bessere Möglichkeiten vorfände, meine Vorstellungen von Bildung auszuprobieren, meinte eine Freundin, es wäre doch besser, erst einmal hier in Linz eine Arbeit zu suchen und zu warten, bis sich hier eine entsprechende Stelle finden ließe. Niemand bekam sofort nach dem Studium den Job, den er sich wünschte, warum sollte ich es also schaffen? Es hatte sich herausgestellt, dass ich in meiner Heimat Österreich nicht die Möglichkeiten vorfinden würde, die ich mir wünschte, also sollte ich das Vernünftige tun und meine Ziele vorerst niedriger stecken. Da ich zu jener Zeit bereits die Zusage meiner jetzigen Schule hatte, fand ich den Einwand anfangs ein wenig absurd. Zugegeben, die 1000km Entfernung von meiner vorherigen Heimat waren ein ordentlicher Umweg, den ich zur Erreichung meiner Ziele in Kauf nahm, aber ich würde ihnen tatsächlich näher kommen, und das war es für mich wert.

Steter Tropfen höhlt den Stein

In meiner immer wieder aufkommenden Überheblichkeit habe ich nun also den „Stein“ Schule hier bearbeitet, um meinen Vorstellungen von Schule näherkommen zu können. Schon in den ersten Wochen gab es Tage, an denen ich nach der Schule nach Hause gekommen bin und einfach nur frustriert war, weil nichts so funktionierte, wie ich mir das vorstellte. Manchmal kam mir auch der Gedanke, ob es nicht eine ziemlich dämliche Idee gewesen war, hier nach Kiel zu ziehen und ob die weiter oben erwähnte Freundin nicht recht behalten hatte, ob es nicht besser gewesen wäre, in meinem Umfeld zu bleiben. Es war beängstigend, an seine Grenzen zu stoßen und zu fühlen, dass man hier in dieser fremden Stadt noch kaum jemanden kannte, der einen in solchen Situationen weiterhelfen und stützen konnte.

Und doch waren es nur die Hürden, die ein jeder Mensch bei allem, was er tun möchte, zu überwinden hat. War es nur der Frust, den man lernen muss auszuhalten, wenn man etwas im Leben erreichen möchte. Manchmal muss man sich eingestehen, dass die eigene Macht nicht ausreicht, um seine Ziele zu erreichen, muss man sich zurückziehen, um neue Kraft zu tanken, um dann am nächsten Tag mit neuer Macht weiterzufließen. Nichts in dieser Welt ist von Dauer, weder die Hindernisse im Weg noch unsere Unfähigkeit, sie zu überwinden, wenn wir nur nicht aufgeben.

Wenn wir unsere Scham überwinden und andere Menschen um Hilfe bitten, wo unsere eigenen Kräfte nicht ausreichen, können wir viel erreichen. Und wenn wir in dem Bewusstsein handeln, für etwas zu arbeiten, was über uns selbst hinausgeht, ob es sich nun um „Gottes Willen“ oder ein selbstgestecktes Ziel, dass auch anderen dient, handelt, wird feststellen, dass er mächtiger ist, als er es sich selbst zugetraut hätte.

Wasser ist geduldig

Wie viele Jahre kann es dauern, bis die Wellen einen Felsen ausgeschliffen haben? Bis sich ein Fluss einen Weg zum Meer bahnt? Wasser beklagt sich nicht, es fließt. Ich weiß nicht, ob Wasser so etwas wie Dankbarkeit oder Freude empfinden kann, aber ich kann es. An diesem Samstagmorgen fühle ich mich dankbar, dass ich die Wasser-Metapher schon früh in meinem Leben so verinnerlicht habe, dass sie mich auch dann noch unbewusst leitet, wenn mein Bewusstsein zu gefrustet ist, um noch positiv zu denken.

Niklas

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Niklas Baumgärtler

Niklas Baumgärtler interessiert sich für die Kunst der Begeisterung und macht gerne Wechsel- und Hebelwirkungen in Sozialen Systemen sicht- und erlebbar. Mehr über Niklas Baumgärtler...

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