Es gibt einen Blog, zenhabits.net, den ich immer wieder ganz gerne besuche, weil der Schreiber augenscheinlich in vielen Bereichen eine ähnliche Einstellung zum Leben hat wie ich und ich daher aus dem, was er schreibt, auch sehr viel für mein eigenes Leben ziehen kann. Kürzlich schrieb er über The Flexible Mind, ein Thema, das ich heute gerne aufgreifen möchte.
Sinngemäss schreibt er, dass ein grosser Teil unserer Sorgen, Ängste und unserer Trauer daher rührt, dass sich die Dinge nicht so entwickeln, wie wir sie uns vorgestellt haben. Die Angebetete lehnt einen Heiratsantrag ab. Aus der schönen Nacht mit einer fremden erwächst eine Vaterschaft. Ein Geschäft kommt nicht zustande, obwohl unsere Vorbereitung perfekt war und wir viele Stunden hineingesteckt haben. Ich schreibe hier einen Artikel, stecke viel Herzblut hinein, und laut Statistik hat ihn niemand gelesen. Leo schreibt, dass die enttäuschte Erwartung, etwa das jemand das, was ich hier schreibe, auch liest, für unsere Enttäuschung verantwortlich ist, und nicht die Art und Weise, wie sich eine Situation objektiv entwickelt.
Ohnmacht
Wer starr seinen Plänen zuarbeitet, wird irgendwann feststellen, dass es Situationen gibt, in der selbst der gewissenhafteste Arbeiter überrascht sein wird. Unsere Fähigkeit der Kontrolle unserer Umgebung ist, von einiger Entfernung betrachtet, sehr eingeschränkt. Zahllose Einflussfaktoren ausserhalb unseres Wirkungsraumes beeinflussen neben uns ständig diese Welt. Unsere Macht ist keine absolute Macht, sondern existiert immer in Relation zu den anderen Mächten.
Es wird möglich sein, das eigene Verhalten vorausschauend zu planen, sich selbst Ziele (oder besser Richtungen) vorzugeben, aber sobald diese Ziele andere Akteure beinhalten, liegt es nicht mehr in unserer alleinigen Macht und gleichzeitig auch unserer alleinigen Verantwortung, ob diese Ziele auch erreicht werden können. Nicht nur andere Menschen, auch beispielsweise ein Holzwurm, der ein Gebälk eines Dachbodens zum Einsturz bringt, ist ein Akteur – ein geschlossenes System, wie wir es oft auch in der Physik zur Berechnung gewisser Phänomene verwenden, ist eine zwar für manche Situationen nützliche, aber nie mit der Wirklichkeit zu verwechselnde Abstraktion dieser.
Einen flexiblen Geist zu haben, wie es Leo beschreibt, bedeutet nun, von der Singularität der gesteckten Ziele abzugehen, weil wir deren Erreichung nur beschränkt beeinflussen können, und die Effekte unserer Arbeit, unseres Tuns, frei von unseren Vor-Urteilen dann zu betrachten und zu beurteilen, wenn sie eintreten. Anstatt uns über Fehlschläge zu ärgern, entdecken wir so womöglich leichter auch das Potential, das durch diese von uns ungeplante und eigentlich unerwünschte Veränderung zu eröffnen vermag.
Wenn wir die Effekte unseres Handelns nur begrenzt steuern, manchmal nicht einmal vorhersehen können, würde dies dafür sprechen, unseren Fokus von Tätigkeiten, die uns aufgrund ihrer erzielten Effekte motivieren, auf Tätigkeiten, die uns in ihrer Ausübung bereits erfüllen, zu verschieben, von einer extrinsischen zu einer intrinsischen Motivation überzugehen. Wenn ich Gitarre spiele, um Geld oder Anerkennung zu verdienen, etwas, das sehr stark von den Reaktionen von anderen Menschen und damit Akteuren abhängt, kann ich enttäuscht werden. Wenn ich spiele, weil ich das Spielen selbst geniesse und es mir Freude bereitet, wer kann mir diese Freude noch nehmen?
Seelenwanderer
Angewandt auf unsere Entwicklung als Mensch würde dies bedeuten, uns auf das zu fokussieren, was uns in seinem Tun selbst erfüllt. In meinem Fall würden da sicher Musik zu machen, das Schreiben, das Kennenlernen von mir bisher fremd gewesenen neuen Perspektiven auf Sachverhalte, die mir andere Menschen in Gesprächen und durch ihr Handeln schenken, dazugehören. Ich spiele nicht Gitarre, um irgendwann Rockstar oder berühmt zu werden. Ich spiele Gitarre, weil ich es liebe, wenn ich mich selbst, manchmal in Harmonie mit anderen, was eine weitere Qualität hinzufügt, als Teil dieser der Musik spüre. Ich bin dann die Musik, versschmelze mit ihr, verschmelze mit meinen Mit-Sängern. Als wir anfingen, in den Strassen Curitibas zu spielen, waren wir überrascht, wie viel Geld zusammenkam, aber es ging nie ums Geld. Es ging darum, öffentlich zu spielen, etwas von meiner Seele der Welt preiszugeben und diese irrationale Angst vor der Öffnung zu überwinden.
Es war nicht mein Plan, Strassenmusiker zu sein, es war auch nicht mein Plan, Volkschullehrer zu sein, es waren meine Richtungen, an denen ich mich zu bestimmten Zeiten orientieren konnte, um der zu werden, der ich heute bin. Vieles, was ich tat und tue, hat nur wenig mit diesen Richtungen zu tun, aber alles mit meinem mir eigenen Weg, den mir mein Inneres in lichten Momenten aufzeigt, einem Weg ohne Anfang und ohne Ende, wie es scheint, dicht verwoben mit den Leben anderer Menschen.
Einige Monate war dieser Blog eine sehr starke Richtung für mich, aber nun hat sich eine weitere Richtung aufgetan, die ebenso einen Teil meiner Zeit beanspruchen wird, und die Angewohnheit, jeden Tag einen Artikel zu schreiben, so lieb sie mir geworden ist, werde ich mit dem heutigen Tag aufgeben, weil ich vorhabe, mich in nächster Zeit in einigen anderen Bereichen umzusehen. Zudem habe ich bereits einige Rückmeldungen bekommen, dass bei all dem Inhalt, den ich hier veröffentliche, niemand mehr mit dem Lesen mitkommt, was ja schade ist. In Zukunft wird’s hier also etwas unregelmässiger von meiner Seite. Wenn ihr mehr lesen wollt, müsst ihr wohl auch selber mehr schreiben, war ja sowieso die Ursprungsidee, dass die Beiträge nicht nur von mir kommen. Vor einigen Jahren schrieb ich ein Gedicht, mit dem ich euch für einige Tage Österreich-Tour verlassen werde:
Dein Weg führ dich
Entlang den Wassern
Der Fluss der Zeit
Der Fluss des Lebens
Reisst dich hinfort in die Welt hinausDein Weg führt dich
Zu manchen Menschen
Relevante Begegnungen
Und seichte Gespräche
Was wird dich wohl erwartenDein Weg führt dich
Wer weiss wohin
Der wahrhaft weise
Bleibt ein Kind
Und staunt über all die kleinen WunderDein Weg führt dich
Ins Dunkel der Nacht
Wenn das letzte Streichholz
Längst erloschen
Hat dein Leben einen SinnDein Weg führt dich
Nun auch zu mir
Ein ganzes Leben, eine schöne Erinnerung
Oder auch nur dieser eine Augenblick
Vielleicht ist es alles, was uns bleibtEs ist ein seltsamer Weg
Denn er macht viele Umwege
Lass die Idioten lachen
Auf ihren schnellen Autobahnen
Sie haben nie gelebt
Abraços!
Niklas