Vorgestern hatte mir ein liebenswürdiger Mensch ein Buch über Marshall B. Rosenberg und seine gewaltlose Kommunikation geliehen, das ich in der Folge in zwei Stunden verschlang. An der pädagogischen Hochschule hatten wir in einem Seminar bereits einige Übungen zur GK absolvieren müssen, aber diese Übungen waren so künstlich gewesen, dass ich wenig Interesse an einer weiteren Vertiefung gehabt hatte. Dieses Buch änderte meine Meinung grundlegend, weil ich im Lesen erkannte, dass die Methode, die Sprache, nur ein Ausdruck einer tiefer liegenden Haltung ist, mit der ich sehr viel anfangen kann.
Zur Kommunikation gehören zwei
Eine reine Reduzierung auf eine gewaltlose Sprache halte ich auch für problematisch, da zu einer Kommunikation immer mindestens zwei Menschen gehören, die dazu dieselbe oder sich zumindest ausreichend überlappende Sprachen sprechen müssen. Gewaltlose Kommunikation funktioniert vermutlich sehr gut, wenn zwei Konfliktpartner diese Art zu sprechen beherrschen, wenn dies jedoch nur einer der beiden tut, wird es komplizierter. Aus eigener Erfahrung als dieser Unverständige im Gespräch mit dieser Sprache Mächtigen weiss ich, wie frustrierend und auch gewaltvoll solche Gespräche sein können, weil man sich als „Anderssprachiger“ nicht ernst genommen fühlen kann.
In manchen Situationen mag es möglich sein, dem Gesprächspartner diese gewaltlose Kommunikation beizubringen, aber oft wird der Gesprächspartner dies nicht akzeptieren wollen. Wenn ich nun versuche, ihm diese Art des Gesprächs aufzudrängen, handle ich nicht gerade sehr gewaltlos, und wenn ich mich weigere, von dieser Art des Kommunizierens Abstand zu nehmen und die Sprache des Anderen zu sprechen, sprechen wir leicht aneinander vorbei. Möglicherweise streiten wir uns sogar erst recht wegen der Sprachunterschiede.
Ich kann von meinem Gegenüber nicht erwarten, dass dieser eine gewaltlose Kommunikationsform anwendet, ich kann auch nicht erwarten, dass er sie sich aneignet. Alles ausserhalb von mir (und in geringerem Ausmass sogar ich selbst) unterliegt nicht meiner Kontrolle. Ich kann meine eigene Sprache kontrollieren und verändern, aber niemanden anderen dazu zwingen, zumindest nicht auf eine Art und Weise, die ich als sonderlich gewaltlos einstufen würde. Anstatt unser Augenmerk auf eine gewaltlose Kommunikation zu legen (und damit der Illusion der Kontrolle zu unterliegen), halte ich es für wichtiger (und sinnvoller), an unserem Handeln zu arbeiten. Wir können die Reaktionen des Anderen (in Sprache und Tun) nicht kontrollieren, wohl aber unsere Interpretation dieser Reaktionen.
Rosenberg beschreibt eine sehr positive Grundhaltung, die davon ausgeht, dass alle Menschen im Grunde ähnliche Bedürfnisse haben, jedoch verschiedene Strategien zur Erfüllung dieser Bedürfnisse erlernt haben. Selbst jemand, der jemanden umgebracht hat, ist damit kein von sich aus schlechter Mensch, sondern jemand, der keine andere Strategie für die Erfüllung seiner Bedürfnisse erlernt hat. Wenn uns Menschen Schaden zufügen, uns verletzen, würde dies bedeuten, dass sie (vielleicht mit unserer Hilfe) ihre destruktiven Strategien und dazugehörigen Bedürfnisse herausfinden und gegen konstruktivere austauschen können.
Kristalle und Licht
Ich möchte hier eine Metapher verwenden, die ich vor einigen Jahren zur Beschreibung einiger Gedankengänge verwendet habe: wir sind alle Kristalle. Wenn ein Lichtstrahl in einen Kristall fällt, spiegelt sich dieser in der Kristallstruktur wieder und strahlt in die Welt hinaus, wo er wiederum andere Kristalle trifft, und so weiter. Rosenberg schreibt über die Wichtigkeit der Bitte, die Wichtigkeit, jemanden seine Bedürfnisse sichtbar zu machen, ohne ihn zur Handlung zu verpflichten (das wäre dann ein Befehl). Die Wichtigkeit, einen Teil des Kristalls für das Licht des Anderen durchlässig zu machen, auf dass uns dieser ein wenig von seinem Licht abgeben kann. Laut Rosenberg ist eine Bitte ein Geschenk an den anderen, weil nichts uns mehr erfüllt, als etwas von uns zu geben – eine sehr schöne Weisheit, wie ich finde.
Rosenberg schreibt auch über die Wichtigkeit, Dankbarkeit und Freude auszudrücken. Vielleicht bin ich hier ein Einzelfall, aber mir wurde irgendwann eingetrichtert, dass es unhöflich sei, sich selbst zu loben, dass es andere dazu brächte, sich schlechter zu fühlen. In der Folge habe ich oft meine Freude über Erfolge sehr reduziert ausgedrückt – wer will schon, dass sich andere schlecht fühlen? Aber das Bild der Kristalle hilft uns auch, diese Konstellation zu überbrücken: Es ist nicht mein Erfolg. Mein Erfolg ist der Erfolg aller, die mich mit ihrem Licht erfüllt haben, und die Freude über diesen Erfolg auszudrücken, bedeutet, diese Freude und damit auch dieses Licht, diese Energie, an die Welt zurückzuschenken.
Mir ist bewusst, dass unser Wirtschaften diesem Bild konträr entgegensteht, dass wir dazu angehalten werden, unsere Erkenntnisse für uns zu behalten, um die Konkurrenz nicht zu stärken und unsere Erfolge zu unserem eigenen zu erklären, um unseren Profit zu maximieren, aber damit unterbrechen wir das weiter oben beschriebene Lichternetz. Wenn wir uns weigern, „unser“ Licht anderen zu schenken, gehen mit der Zeit „die Lichter aus“. Und selbst diejenigen, die wir als leuchtende Sterne wahrgenommen werden, verlieren an Leuchtkraft, bis wir sehen, dass auch sie am Ende nur weisse Zwerge waren.
Trauen wir uns, unseren Kristall zu reinigen, den über die Jahre angesammelten Schmutz zu entfernen und uns damit der Welt zu öffnen, so werden wir offen für das Licht der anderen und schenken ihnen damit die Möglichkeit, ihr empfangenes Licht an die Welt weiterzugeben, Teil eines göttlichen Kreislaufes zu werden. Und wenn wir dies tun, sehen wir auch die vielen kleinen Sterne, die sich nach etwas Wärme, etwas Licht in der Dunkelheit sehnen, und können das herrliche Licht, dass sich in unserem Inneren spiegelt und uns Wärme gibt, weitergeben. Dazu braucht es keine Ordnungen und Sicherheiten, braucht es keine Verpflichtungen des anderen, sich an einer gewaltlosen Kommunikation zu orientieren. Es reicht, sich zu öffnen und in die Welt zu strahlen, ohne Rücksicht auf Verluste.
Denn Energie geht nicht verloren – sie wird nur umgewandelt.
Niklas