Kritik am „überparteilichen“ Bildungskonzept von Matthias Strolz

(Letztes Update von Niklas Baumgärtler am 26.5.2021)

Auch wenn ich jetzt grundsätzlich angeblich „neuen“ Parteien erst ein wenig skeptisch entgegentrete, hat mich doch das Bildungskonzept, das Matthias Strolz vorgestellt hat (Link zum Konzept links oben im Standard-Artikel), positiv überrascht. Nicht, dass es gerade perfekt durchdacht wäre, hat mich gefreut, sondern dass er es ganz offen als Diskussionsgrundlage in den Raum stellt. Denn zu Kritisieren und Anmerken gibt es wie immer so einiges. Doch auf einer Diskussionsgrundlage kann man – im Gegensatz zu einer Volksabstimmung, die von mir ein Ja oder ein Nein verlangt, aufbauen, sie weiterentwickeln, bis vielleicht wirklich einst ein Vorschlag wird, mit dem sich genügend anfreunden können, um ihn wirklich umzusetzen. In diesem Sinne einige Gedanken dazu.

Mehr Autonomie = bessere Bildung?

Obwohl ich den Ruf nach mehr Autonomie für die Schulen grundsätzlich mit vollstem Herzen unterstützen möchte, wird diese Autonomie alleine unsere Bildungsprobleme kaum lösen können, wenn sich diese Autonomie nicht bis zu den Lehrern oder gar bis zu den Schülern fortsetzt. Eine jede Öffnung des Freiraums Schule eröffnet auch die Möglichkeit interner Machtkämpfe an dieser Schule, und aus eigener leidvoller Erfahrung kann ich berichten, dass ein Mehr an Schulautonomie durchaus auch zu einem Weniger an Lehrer-Autonomie führen kann. Völlig abseits von Parteiengezänk bilden sich gruppendynamische und machtpolitische Systeme auch innerhalb von kleinen Gemeinschaften wie der Schulgemeinschaft ab, mit all ihren kleineren und größeren Machtkämpfen. Viele freie Schulen können da wohl die eine oder andere lehrreiche Geschichte erzählen – von denen man bei der Umsetzung einer solchen Schulautonomie auch öffentlicher Schulen lernen sollte.

Gefahren des Wettbewerbs mit finanziellem Belohnungssystem

Schulen in einen auch finanziell vergüteten Wettbewerb treten zu lassen, halte ich für ebenso gefährlich wie die „guten“ Lehrer mit Bonuszahlungen zu belohnen, weil es tendenziell dazu führt, dass unterschieden wird zwischen „das bringt mir Geld“ und „das bringt mir kein Geld“. Natürlich gibt es sie, die idealistischen Lehrer, die davon völlig unberührt bleiben, aber warum es der breiten Masse unnötig schwer machen, sich von ihrem Gewissen leiten zu lassen und nicht von der Belohnung? Noch völlig abgesehen davon von der mittlerweile ja wohl hinlänglich bekannten Tatsache, dass Belohnungen nur so lange funktionieren, wie sie aufrechterhalten werden?

Ganz allgemein halte ich den Wettbewerbsgedanken für einen problematischen, weil ein Wettbewerb für mich impliziert, dass es ein gewisses Ziel oder Ziele gibt, dem sich alle verschrieben haben, und zu deren Erreichung sie möglichst effektive Mittel anwenden, um zu siegen. Wenn man nun als Ziel dieses Wettbewerbs das Erreichen einer „mittlere Reife“ annimmt, würde demnach die Schule siegen, die alle Schüler mit dem geringsten finanziellen Aufwand dorthin bringt? Oder dem geringsten personellen Aufwand? Oder diejenige, die dafür sorgt, dass die Schüler nebenbei noch solidarisch mit ihren Mitschülern leben? Diejenige, die möglichst viele Freifächer anbietet? Oder alles zusammen? Gewinnt die Schule mit den meisten gelernten Inhalten, oder diejenige, die Kosten spart? Wie lässt sich feststellen, dass der Lernerfolg überhaupt in der Schule erzielt wurde? Welche langfristigen Folgen der Schulbesuch (im Guten wie im Schlechten) hatte?

Das „Problem“ mit der Förderung der Vielfalt ist, dass sie einen gemeinsamen Wettbewerb um die Erreichung gemeinsamer Ziele immer unrealistischer oder zumindest unfairer macht. Entweder wird also der Wettbewerb eingedämmt oder es entsteht gerade das Gegenteil von Vielfalt, nämlich Gleichmacherei.

Wettbewerb der Ideen statt der Schulen

Eine mögliche Lösung des Problems leben viele freie Schulen schon Jahrzehntelang vor: Vernetzung untereinander und ein Lernen voneinander. Eine jede Schule hat eine – meist aus ihrer Gründungsgeschichte – gewachsene pädagogische Haltung, die von den Ideen anderer Schulen profitiert. Die meisten Schulen ermöglichen es ihren Schülern, die entsprechenden Abschlüsse wie in normalen Schulen zu machen, aber selten handelt es sich dabei um das einzige oder auch nur das vorrangige Ziel der Schule, was das Konkurrenzdenken untereinander erheblich entschärft und die gegenseitige Solidarität stärkt. Trotz der pädagogischen Differenzen untereinander vereint diese Schulen eine Art gemeinsame Über-Vision von einer besseren Schule, und sie führen oft einen regen Austausch mit anderen Schulen, weil sie verstanden haben, dass sie gemeinsam (ganz ähnlich der Open-Source-Vorgehensweise in der Software-Entwicklung) oft mehr erreichen.

Diese gemeinsame Über-Vision, die auch tatsächlich von allen Beteiligten vertreten wird, so unterschiedlich sie auch pädagogisch und menschlich eingestellt sein mögen, halte ich mittlerweile für eine der Grundvoraussetzungen dafür, dass autonome Schulen auf Dauer überhaupt funktionieren können. Ansonsten führt dieses Mehr an Autonomie eher zu einem Mehr an Reibung unter den Pädagogen und Eltern, was sich kaum positiv auf die Qualität der Schule auswirkt, ähnlich wie totale Freiheit für manche Schüler (ebenso wie Erwachsene) schlichtweg eine totale Überforderung und Quelle von Leid statt einer Quelle von Freude sein kann.

Seltsamerweise erscheint mir Strolz’s Forderung ein wenig wie eine Forderung nach der freien Privatschule für alle, und zwar kostenfrei. Dort nämlich gibt es bereits die weitgehende Autonomie der Schule gegenüber dem Gesetzgeber und der Umgebung, dort gibt es die gegenseitige Vernetzung und die Innovationsfreudigkeit. Es gibt jedoch auch die internen Machtkämpfe, die Zerwürfnisse, die Schulen, die geschlossen werden müssen. Eine bessere staatliche Förderung dieser freien Schulen von etwa 10-20% wie bisher auf die in Deutschland üblichen 80-90% würde wohl vielen dieser potentiellen Innovationsträger helfen, sich weniger auf finanzielle Sorgen als auf pädagogische Fragen zu konzentrieren. Um die tieferliegenden grundsätzlichen Probleme der Pädagogik und des Gesellschaftswandels zu lösen, werden wir mehr brauchen als die Autonomie der Schulen, Lehrer oder Schüer.

Grundsätzliche Fragen der Pädagogik

Die Formel mehr Autonomie = bessere Bildung geht so einfach wohl leider nicht auf. Aber dass wir überdenken müssen, welche Fähigkeiten und welches Wissen wir in der heutigen Zeit tatsächlich als für alle Menschen als verpflichtend betrachten, da stimme ich ihm vollends zu. Auch die Frage, wie und ob Leistung überhaupt sinnvoll gemessen werden kann, halte ich für eine sehr essentielle, bei der wir immer noch auf sehr veralteten Vorstellungen stecken geblieben sind. Oder dem (in dem Konzept nicht angesprochenen) Problem, dass formal abgelegte Prüfungen faktisch kaum etwas über tatsächliche Potentiale des Prüflings aussagen und diese Entwicklung sich mit der flächendeckenden Einführung von Multiple-Choice-Tests eher beschleunigt, sollten wir nicht vergessen. Gesellschaftliche Positionen und gesellschaftlicher Status werden hier immer noch oft über Kriterien vergeben, die ihre Berechtigung zunehmend verlieren.

Ganz grundsätzlich stellt sich für mich die Frage, ob es überhaupt möglich ist, sonderlich viel zur Verbesserung des Bildungssystems auf parlamentarischen Wege einzuleiten und ob nicht dort die größte Illusion in diesem Konzept verborgen liegt. Denn die Freiheit beginnt bekanntlich in den Köpfen des Einzelnen, und die halte ich für erheblich aufnahmefähiger für konkrete Praxisbeispiele (beispielsweise von freien Schulen) als für „Visionen“ von Politikern. Verblüffenderweise kennen einige „normale“ Lehrer die meisten bekannten Reformpädagogen (mit Ausnahme von vielleicht Montessori und Waldorf) wenn überhaupt nur vom Namen – hier könnte man ansetzen, Lehrer dieser oft sehr innovativ arbeitenden Schulen an die Lehrerausbildungsstätten holen, anstatt nur gelehrte Dozenten aus ihren Büchern zitieren zu lassen, denn Bücher kann ich mir bei Interesse auch selber lesen. Stattdessen werden die kleinen Privatschulen staatlich kaum gefördert (10-20% statt 80-90% der Kosten wie in Deutschland hier) und auch in der Öffentlichkeit kaum sichtbar gemacht.

Ich hoffe, mit diesem Blog zumindest einen kleinen Beitrag in dieser Sache leisten zu können: Alternativen aufzuzeigen. Zu zeigen: hey, es gibt noch viel mehr Möglichkeiten, an anderen Schulen, vielleicht auch an unserer Schule. Es geht auch anders. Auch ich kann mehr als meinen Montessori-Ratgeber lesen und mich ärgern, dass mein Direktor dies nicht gut heißt. Einer der laut Statistiken jahrelang erfolgreichsten Schulen (laut einem Vortrag, den ich vor Jahren gehört hatte) war eine, deren Direktor sich (und dazu stehend) ebenso jahrelang nicht an bestimmte Vorgaben und Gesetze gehalten hatte, weil er sie für unverantwortlich hielt. So sparte er etwa einen Lehrer ein und verwendete das so frei werdende Geld, um externe Anbieter wie Zirkusartisten und ähnliches anzumieten. Es geht um Alternativen, Alternativen zum weder für die Schüler noch für die Lehrer noch für die Gesellschaft als Ganzes sonderlich aufregenden oder sinnvollen Unter-richtens.

Überall sind sie, die Bunterrichter, die die Wende bereits für sich begonnen haben und die ein Strolz gar nicht mehr mit seiner Initiative anstoßen oder ihnen Autonomie und Freiheit gewähren muss, weil sie sich diese Freiheit ohnehin lange genommen haben: die Freheit, anders zu denken und Neues zu schaffen. Lange Zeit war ich verunsichert, ob ich denn gar der einzige sei, doch zunehmend wird mir klar, dass ich meine Augen einfach vor der Wahrheit verschlossen habe: wir sind mittlerweile viele. Alleine an meiner Schule sind wir ein (soweit ich das bisher beurteilen kann) geniales Team, indem ein jeder mit Herzblut für seine Werte eintritt, und ich freu mich schon unglaublich auf den offiziellen Schulstart nächste Woche. Wir brauchen keine Prämien für gute Lehrer (auch wenn finanzielle Unterstützung nicht schadet), um uns zu Innovationen zu motivieren, weil wir ohnehin in der besten Schule, die uns möglich ist, arbeiten wollen.

Wenn wir die Stimmmung so halten können, werden wir ohnehin zu einer der besten Schulen Europas werden, ob man uns nun extra finanziert oder nicht.

Niklas

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Niklas Baumgärtler

Niklas Baumgärtler interessiert sich für die Kunst der Begeisterung und macht gerne Wechsel- und Hebelwirkungen in Sozialen Systemen sicht- und erlebbar. Mehr über Niklas Baumgärtler...

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