Der Schlüssel zur Unsterblichkeit

(Letztes Update von Niklas Baumgärtler am 26.5.2021)

Gestern hatte ich ein faszinierendes Gespräch mit einem Menschen, den ich über die Jahre kennen und lieben lernen durfte, bei dem es darum ging, dass besagter Mensch sich hoffnungslos fühlte, was die Zukunft betraf, weil er sich seiner früher im Übermass vorhandenen Kräfte nicht mehr sicher sein konnte, weil er sich „beschädigt“ fühlte. Weil ich mich (wie sehr oft) gerade wieder sehr intensiv mit dem Tod beschäftige, bat ich diesen Menschen, sich vorzustellen, er hätte nur noch begrenzt Zeit in seinem Leben. Faszinierenderweise waren die Prioritäten in dieser Vorstellung jenen der so für diesen Menschen so krisenhaften Situation diametral gegenübergestellt. Das Problem kam überhaupt nicht mehr vor.

Die letzten Monate

Im Zuge dieses Gesprächs dachte ich auch darüber nach, was ich selbst tun würde, hätte ich nur noch bis zu meinem Geburtstag (im März) zu leben. Ich würde noch einige Wochen in der Schule, in der ich gerade arbeite, mitarbeiten, erstens, weil ich das Gefühl habe, dass meine Arbeit hier zutiefst sinnvoll ist, dass Ich selbst hier zutiefst sinnvoll bin, und zweitens, weil ich für mich herausfinden möchte, ob all das, was ich mir in teils praktischer Erfahrung, teils theoretischer Aneignung, erarbeitet habe, tatsächlich der Wirklichkeit entspricht, und sollten diese meine Erfahrungen sich als wertvoll erweisen, würde ich sie in irgendeiner Form (diesem Blog, einem Buch, Videos, etc.) der Nachwelt hinterlassen wollen.

Ich würde einigen Menschen Mut machen wollen, den von ihnen eingeschlagenen Weg weiterzugehen, weil ich stolz auf sie bin und mich ihr Weg und Weiterkommen mit Freude erfüllt. Ich würde all meine Texte und Lieder, die ich gerne singe und für die ich auch bereits viel positives Feedback bekommen habe, in einem Tonstudio aufnehmen und frei verfügbar machen, mitsamt Tabulaturen und sonstigen Werkzeugen, die denjenigen nutzen können, die einen Wert in diesen Liedern erkennen und sie selbst spielen möchten.

Ich würde noch sehr oft mein Lieblingslokal besuchen, um einfach nur zu tanzen. Weil es mich erfüllt und ich merke, dass es auch andere erfüllen kann, wenn ich tanze. Vielleicht würde ich auch in der Schule den Tanz als eine Art „Freiveranstaltung“ anbieten wollen.

Einige Wochen oder Monate, bevor es dann wirklich mit mir zu Ende geht, würde ich eine gute Freundin von mir bitten, mit mir zu kommen, und ob sie dann mit fährt oder nicht, mit unserem Verschwindibus so lange in Richtung Südafrika fahren, bis ich eines Tages einfach tot bin.

Der Tod ist ein sanfter Führer

Das Faszinierende an unserem Gespräch war jedoch weniger die exakte Ausprägung der Wünsche, „falls ich bald sterben würde“, sondern die Überraschung, dass ich all das, was ich gerne noch tun würde, tue. Ich arbeite in einer sehr neuen Schule, was der Schulgründung, die ich mir immer gewünscht habe, ähnlich kommt, ich tanze und habe mir vorgenommen, die Möglichkeit dieser Tanz-Veranstaltungen an der Schule zumindest zu recherchieren, ich musiziere und singe oft und gerne mit anderen Menschen und ich schreibe regelmässig an diesem Blog. Im Sommer ist für mich klar, dass ich mit dem Bus Richtung Afrika fahren werde.

Wirklich spannend wird es jedoch erst dann, wenn man den Todeszeitpunkt beispielsweise an den nächsten Tag verlegt, wo sich die Möglichkeiten, sein Leben doch noch in die Hand zu nehmen, dann doch sehr reduzieren. Ich hätte kein grösseres Problem damit, morgen zu sterben, wenn es sein muss. Ich habe es nicht vor, und ich wünsche mir noch Zeit, um beispielsweise die Bus-Reise zu schaffen (weil es einfach im Sommer sinnvoller ist), aber wenn ich sie nicht mehr erleben würde, wäre es ebenso in Ordnung für mich.

Und nun nähern wir uns einem faszinierenden Punkt: möglicherweise ist die Angst vor dem Tod nur Ausdruck der Angst, etwas im nächsten Moment vielleicht nicht mehr tun zu können, was man in diesem Moment auf die Zukunft verschoben hat. Der Mann, der immer den Traunstein besteigen wollte, nur um dann kurz davor querschnittsgelähmt zu werden. Die Frau, die immer auf einen Bauernhof ziehen wollte, um dem einfachen Landleben zu frönen, dann aber mit 70 inmitten der Grossstadt verstirbt.

Der Tod (wie das Alter, das an ihn erinnert) wird in unserer Gesellschaft ganz gerne ausgeblendet: Schönheits-OPs, Altenheime, Pallitativ-Stationen usw. helfen, sich nicht allzu viel mit ihm beschäftigen zu müssen. Die Beschäftigung mit der eigenen Endlichkeit würde wohl bei vielen zu überraschenden Erkenntnissen führen (und kann ich einem jeden daher nur ans Herz legen).

Das, was wir halten, bindet uns die Hände

Ein spannendes Element ist beispielsweise jenes, dass angeblich „unmöglich“ aufzulösende Situationen sich plötzlich entwirren können, dass die angebliche Unmöglichkeit der Lösungsfindung für einen Situation oft auch auf die Weigerung des vor dem Problem stehenden zurückzuführen ist, sich von bestimmten Dingen oder auch verhärteten Einstellungen zu lösen. Wir können nichts mitnehmen, wir können einzig etwas hinterlassen, und Geld oder Besitz, den wir hinterlassen, sind keine zuverlässigen Zeugen unserer Existenz.

Wenn die Angst vor dem Tod besiegt wird, in dem wir eine bleibende Erinnerung an uns in die Welt bringen, so ist die effektivste Möglichkeit, diese Erinnerung in die Welt zu bringen, diejenige, ein unverwechselbares Leben zu führen. Wie es Viktor Frankl beschreibt, ein Werk zu vollbringen, dass nur ich vollbringen konnte, eine Liebe zu fühlen, die nur dieses Ich nur mit diesem Du fühlen kann oder ein edles Leiden zu erleiden, dass wahre Grösse wachsen und gedeihen lässt. Die Erinnerung an einen Menschen wird dort verbleiben, wo Menschen ihr Innerstes der Welt offenbaren, ob in der Liebe oder in der mutigen Veröffentlichung der innersten Gedanken und Gefühle. Ich glaube, es gibt keine innerlich oberflächlichen Menschen und stille Wasser sind tatsächlich tief, wie es heisst. Aber was hat die Welt davon, wenn diese Tiefe nie an die Oberfläche kommt? Oberflächlichkeit ist Austauschbarkeit, und Austauschbarkeit bedeutet das rasche Vergessen, vor dem wir uns mehr fürchten als den Tod selbst.

Was macht Dich einzigartig?
Und wie gibst du der Welt die Gelegenheit, diese Einzigartigkeit zu schauen, zu kosten?

In den Antworten zu diesen Fragen liegt der Schlüssel zur Unsterblichkeit verborgen.

Niklas

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Niklas Baumgärtler

Niklas Baumgärtler interessiert sich für die Kunst der Begeisterung und macht gerne Wechsel- und Hebelwirkungen in Sozialen Systemen sicht- und erlebbar. Mehr über Niklas Baumgärtler...

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