Nach Monaten ohne nennenswerte langfristige Praxis mit Kindern und Jugendlichen begann heute wieder meine Arbeit als Nachhilfelehrer in der Schülerhilfe in Urfahr. Ich wollte diese drei Wochen, in denen ich Mathematik der Unterstufe sowie (ab nächste Woche) auch zwei Kurse in Englisch zu unterrichten habe, als Praxistest nutzen, inwieweit sich dieses Unterrichten auch als Bunterrichten umsetzen lässt, und meine heutigen Erfahrungen waren sehr gut.
Als alle eingetroffen waren, erklärte ich ihnen, dass ich nicht vorhabe, sie zu irgendetwas zu zwingen, sie damit jedoch auch die Verantwortung für die sinnvolle Nutzung unserer gemeinsamen Zeit zu tragen haben. Dass ich ihnen auf Wunsch gerne auch Druck machen kann, aber es von mir aus nicht tun werde, weil ich nicht daran glaube. Welche Aufgaben sie üben wollten, ob sie überhaupt Aufgaben üben wollten, war ihre Sache, ich würde bei aufkommenden Problemen gerne helfen, aber mich nicht aufzwingen.
Anfänge des Bunterrichtens
Meine drei Schüler, eine Erstklässlerin, ein Dritt- und ein Viertklässler, rechneten selbstständig drauf los, es gab keine Fragen. Meine mir selbst gestellte Aufgabe, mich dabei nicht von mir aus einzumischen, stellte sich als gar nicht so einfach heraus, weil schnell das Gefühl aufkommen kann, überflüssig zu sein, bis zu Schuldgefühlen, für dieses überflüssige Dasitzen auch noch Geld zu bekommen. Ich bemerkte, dass mir diese Freistellung ermöglichte, meine Schüler genau zu beobachten und sie dabei besser kennen zu lernen. Einige Beispiele rechnete ich still mit, weil sie mich interessierten, manche, weil ich beobachtete, dass meine Schüler Probleme mit ihnen hatten und ich sichergehen wollte, dass ich sie erklären konnte, sollten sie fragen.
Als einer meiner Schüler bereits zum zweiten Mal an einer bestimmten Art von Beispielen scheiterte, fragte ich ihn, ob ich ihm helfen könnte oder ob er es alleine weiter probieren wollte, ein Angebot, das er dankbar annahm. Einige Zeit später tauchten auch von den anderen Fragen auf, die wir gemeinsam versuchten, zu beantworten. Meine Erstklässlerin hatte beispielsweise bei einem Beispiel, in dem ein Zugplan vorkam, Schwierigkeiten, weil sie augenscheinlich noch nie einen Zugplan verwendet hatte und nicht wusste, wie dieser zu lesen war. Keine Frage war zu peinlich, ich wertete nicht, sondern versuchte, zu helfen, unabhängig davon, ob Schüler dieser Altersklasse etwas schon können sollten oder nicht. Es waren ehrliche Fragen, die die Schüler im Moment beschäftigten, und sie hatten dementsprechend ehrliche, hilfreiche Antworten verdient.
Freiheit kann zu Verantwortung führen
Wenn es Schülern erlaubt wird, sich ihre Aufgaben selbst auszusuchen, werden sie sich diejenigen aussuchen, die sie schon können, und nichts dabei lernen, heisst es. Wenn sie für das Lösen der Aufgaben extrinsisch motiviert werden, etwa mit Süssigkeiten, Plus, guten Noten oder auch nur Lob, ist dieses Verhalten nur logisch. Wenn aber der einzige Nutzen im Lösen einer Aufgabe ein der Aufgabe intrinsischer ist, fällt diese Gefahr wohl weg. Einer meiner Schüler meinte heute, dass die Aufgaben, die er gerade rechne, ja lächerlich einfach seien, und er würde sich nicht mehr mit ihnen abgeben wollen. Macht bedingt Verantwortung, aber richtig eingesetzt, kann Verantwortung wohl auch einen verantwortungsvollen Umgang mit der Macht nach sich ziehen.
Ich kam mir ein Stück weit vor wie ein Vater, der seine Kinder dabei beobachtet, wie sie die Welt erkunden, der sich mit ihnen über neue Entdeckungen freut, aber weiss, dass diese Entdeckungen umso wertvoller sind, umso selbstständiger sie gemacht wurden. Freiheit und Verantwortung können Angst machen, und ich war der Vater, der, wenn alles schiefzugehen scheint, hinter dem Kind steht und im Notfall alles wieder gut machen kann. Der Vater, der an das beinahe unendliche Potential in seinem Kind zu glauben vermag, aber dabei auch weiss, dass dieses Potential sich oft nur langsam entfaltet und weder forciert noch gelenkt werden kann.
Ich bin Bunterrichter
Als ich die Schülerhilfe verliess, fühlte ich mich erfrischt von der Begegnung mit diesen drei liebenswerten Menschen, mit denen ich noch einige Tage verbringen darf. Nach etwa eineinhalb Stunden erst waren sie etwas müde geworden, in denen sie sich auf ihre Mathematikaufgaben konzentriert hatten, später hatten wir in entspannter Atmosphäre Geschichten ausgetauscht und kleine Spiele gespielt, inzugedessen wir uns gegenseitig näher kennen lernen durften.
Ich bin kein klassischer Lehrer, mit seinem Lehrplan, seinen Beurteilungen, seinem Lob und seinen Strafen, wie er im Buche steht, so viel wird mir immer mehr klar, aber zumindest diese drei Schüler dürften in der Schule bereits genug klassische Lehrer gehabt haben, wenn sie in die Nachhilfe kommen. Wie diese „Bedürftigen“ aufzufinden und dieser Bedarf von mir und anderen Bunterrichtern gedeckt werden kann, dies wird noch eine spannende, aber auch lohnende Aufgabe sein. Die Nachhilfe kann auch nicht der Weisheit letzter Schluss sein, vor allem für Familien mit geringerem Einkommen ist die Schülerhilfe ja beinahe absurd teuer und auch organisatorisch nicht immer zielführend.
Aber es tut gut, wieder in der Praxis zu stehen.
Niklas